Ich bin wütend. So richtig wütend. So wütend, dass ich heute mal all meine Zurückhaltung vergesse. Es gibt viele politische Themen, die mir schwer im Magen liegen, und manches kann ich auch ganz gut verdauen. Aber das hier empfinde ich als Hohn. Und das nicht nur wegen meiner eigenen Situation.
Der JU-Chef Paul Ziemiak fordert unter anderem eine Abgabe für Kinderlose. Egal ob verheiratet oder ledig, Single oder nicht – wer keine Kinder hat, soll dann doch bitte ein Prozent seines Bruttoeinkommens zahlen. BUMM.
Ich weiß, ich weiß. Sommerloch, da kommen die merkwürdigsten Ideen aus der Ursuppe in Berlin hoch, da wird eben alles abgeschöpft und verbreitet. Aber das hier klingt auf so vielen, vielen Ebenen falsch und unanständig, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich will auch gar nicht irgendwas gegeneinander aufrechnen. Dass zum Beispiel Paare mit doppeltem Einkommen und ohne Kinder mehr Steuern zahlen, mehr in die Rentenkasse zahlen usw. Ich kenne mich mit diesem Statistiken und Kennzahlen nicht aus. Mir geht es darum, was diese absurde Idee mit mir macht.
Und vermutlich mit Hunderttausenden anderen Kinderlosen in diesem Land. Wobei es im Grunde egal ist, ob sie sich aus freien Stücken dazu entschieden haben, keine Kinder zu bekommen, oder ob es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, Kinder zu bekommen. Oder ob man einfach nicht den Partner fürs Kinderkriegen gefunden hat, Single ist, in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, kein Interesse an Sex hat usw. In solchen Situationen empfinde ich auch mich als „kinderlos“, denn ich vermute, der Gesetzgeber wird an solche Spezialfälle sicher nicht denken, wie wir einer sind. Wir zum Beispiel haben unser Kind sehr, sehr früh verloren.
Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist keine, die allein vom Geld abhängig gemacht wird. Zumindest sollte das kein Argument sein in einem der reichsten Länder der Welt mit einem – in weiten Teilen – funktionierenden Sozialsystem. Dass man jetzt mit „Lockangeboten“ wedelt, soll doch nur darüber hinwegtäuschen, dass man sich an anderer Stelle täuscht, richtig viel Geld in die Hand zu nehmen, damit Familien entlastet werden. Ganz genau. Nicht Kinderlose belasten, sondern Familien mit Kindern entlasten, bitte. Das würde nicht nur ich mir wünschen, ich bin sicher, das geht allen so. Sicher auch jenen, die keine Kinder haben, egal aus welchem Grund.
Aber nö … Einfach mal die moralische Keule schwingen. Nicht nachdenken, sondern reden. Schade. Wirklich schade. Mit ein bisschen Geld winken, der Bürger ist doch so einfach gestrickt und wird sich von 1.000 Euro überzeugen lassen, dass Kinderkriegen total klasse ist!
Und an diesem Punkt setzt es bei mir aus. Ich weiß, wie lebensverändernd diese Entscheidung für Kinder ist. Weder eine „Abgabe“, die dann wegfällt, noch 1.000 Euro „Begrüßungsgeld“ (nennen wir es doch gleich Wurfprämie!) hätten mich davon überzeugen können, dass Kinderkriegen besser ist als es bleiben zu lassen. Ich wollte Kinder, Ende der Diskussion.
Genauso kenne ich viele Kinderlose, die sich nicht von so einem Argument überzeugen lassen, plötzlich eine Horde kleine CDU-Wähler in die Welt zu setzen. Die ihre ganz privaten Gründe haben, warum sie keine Kinder bekommen. Freie Entscheidung, zum Beispiel. Oder gesundheitliche Gründe, weil sie eine Erbkrankheit in sich tragen. Ich kenne auch viele, viele Paare, die sich immer Kinder gewünscht haben und nicht bekommen konnten. Oder noch darum kämpfen. Oder für die es kein zweites Kind gab. Auch die würden damit abgestraft, denn ein Kind zählt ja für die JU offenbar „nicht so richtig“ und ist nur ein halbherziger Versuch (ja, genau. Dann halbiert sich die Abgabe nur! Gestrichen wird sie erst, wenn das zweite Kind kommt.) Es sind so viele, dass es mich ein bisschen traurig macht. Denn all die Kinderlosen, die nicht kinderlos sein wollen, würden mit so einer Regelung auch noch doppelt abgestraft.
Sich ein Kind zu wünschen und es nicht zu bekommen, ist für jedes Paar ein Schlag ins Gesicht. Es gibt viele Alleinstehende, die keine Familie gründen können, weil kein Partner da ist. Manche entscheiden sich bewusst gegen Kinder, weil sie sich das Leben mit Kindern nicht vorstellen können. Strafen wir sie alle ab. Los, lassen wir sie dafür büßen. Nennen wir es doch gleich „Asozialensteuer“, weil diese Menschen sich nicht in der Gemeinschaft einbringen.
Ich. Fass. Es. Nicht.
Was kommt als nächstes? Die Pflicht, mindestens ein Kind in die Welt zu setzen?
(Wie denn, verdammte Scheiße!!!)
Ja, ich bin wütend. Weil da wieder jemand den Mund aufgemacht hat, der keine Ahnung vom Leben hat. Der vermutlich nicht weiß, wie weh es tut, von der ganzen Welt als Kinderlose angesehen zu werden, die sich ja nur die Rosinen rauspickt. Bitteschön – ich hab es ja versucht, es sollte nicht sein, ich habe keine Ahnung, ob uns dieses Glück ein zweites Mal beschert sein wird. Würde so eine Abgabe kommen, müsste ich mich jeden Monat aufs Neue mit dem Schmerz auseinandersetzen. Ich weiß schon, ich bin ein Sonderfall.
Aber gilt das nicht auch für all die anderen, die ungewollt kinderlos sind?
P.S. Ich möchte noch mal ausdrücklich darauf hinweisen: ich bin nicht „kinderlos“. Ich habe einen Sohn. Unser Sohn starb wenige Minuten nach seiner Geburt im September letzten Jahres. Und so sehr mir dieser Satz immer noch die Tränen in die Augen treibt, weiß ich eines. Ich bin Mutter, das werde ich immer sein. Aber in dieser speziellen Situation fühle ich mich wie eine Kinderlose, und das macht mich irre wütend. Denn mal ehrlich: die Eltern, die ihre Kinder verlieren – die nehmen wir doch auch kaum wahr.